Hintergrund und Projektziel: Entscheidungen über Aufnahme oder Nicht-Aufnahme von neuen medizinischen Interventionen/ Technologien in den Leistungskatalog werden angesichts eines ständig wachsenden Angebots an Technologien und zunehmender finanzieller Engpässe zu einem wichtigen Allokationsinstrument. Refundierungsentscheidungen haben aber nicht nur monetäre Auswirkungen für Anspruchsberechtigte und Leistungsträger, sie sind auch Richtungsentscheidungen für die Weiterentwicklung von Gesundheitstechnologien. Auch in Österreich wird an einem einheitlichen Katalogfür ambulante ärztliche Leistungen gearbeitet, für dessen Wartung und Weiterentwicklung ein konsistenter Prozess entwickelt werden soll. In diesem Kontext interessieren internationale Beispiele von Refundierungsprozessen und ihre Qualitätsmerkmale, um daraus Erfolgsfaktoren für ein österreichisches Modell ableiten zu können.
Methode: Bestehende Antragsprozesse für ärztliche Leistungen wurden durch Handsuche im Internet/Webseiten recherchiert, Primär- und Sekundärliteratur in Datenbanken, ergänzt durch eine systematische Literatursuche
und ExpertInnengespräche. Auswahlkriterien für Länder und Antragsprozesse waren die Möglichkeit der externen Beantragung einer ärztlichen Leistung zur Katalogaufnahme und das Vorliegen englischer, deutscher oder französischer Unterlagen. Analyse und Kategorisierung erfolgte nach Schwerpunkten in Informationsbereichen (entsprechend dem Core- HTA-Modell von EUnetHTA) sowie nach Prozessphasen.
Ergebnis: Analysen zu Leistungsentscheidungen wurden zu folgenden Ländern durchgeführt: Australien (MSAC Application), Dänemark (mini-HTA), Spanien (GANT), England (NICE Single Technology Appraisal), Deutschland (G-BA, KBV-Innovationsservice), Frankreich (HAS Antrag für Prozeduren), Schweiz (BAG Antrag Medizinische Leistungen) und Österreich (MEL, Antrag OÖGKK). Aus den identifizierten und beschriebenen 8 Beispiel- Ländern wurden die mit Österreich am ehesten vergleichbaren Gesundheitssysteme Deutschland, Frankreich und Schweiz ausgewählt und deren Refundierungsprozesse gemeinsam mit dem österreichischen Arzneimittel- Refundierungsprozess (HEK) nach Prozessphasen (Assessment, Handlungsempfehlung, Entscheidung und Umsetzung) und Aspekten (Strukturen, Entscheidungskriterien, Umgang mit Evidenz, Transparenz) analysiert.
Geltungsbereich und Schwerpunktsetzung bei Refundierungsanträgen: Der Geltungsbereich der analysierten Antragsvorlagen umfasst stationäre und/oder ambulante Leistungsbereiche. Da die gesetzlichen Vorgaben solidarischer Gesundheitssysteme generell fordern, dass nur Leistungen refundiert werden, deren Wirksamkeit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit nachgewiesen ist, zeigen die untersuchten Antragsvorlagen trotz verschiedener Perspektive, Schwerpunktsetzung und Detailtiefe gewisse Gemeinsamkeiten: in allen nimmt der Nachweis von klinischer Wirksamkeit und Sicherheit den breitesten Raum ein, wobei bei Bedarf zusätzliche Information ermittelt wird. Gleichzeitig besteht die Tendenz, neben der klinischen Evidenz auch ökonomische Daten - meist in Form von Informationen zu Kosten und Kosteneffektivität, epidemiologischen Daten und im Vergleich zu Komparator- Interventionen - einzufordern.
In Bezug auf organisatorische und organisationsbezogene sowie soziale, rechtliche und ethische Aspekte unterscheiden sich die Einreichformate: jene, die als Entscheidungshilfen des Krankenhausmanagements dienen, gewichten soziale und organisationsrelevante Aspekte stärker, jene, die nationalen Entscheidungen dienen, fokussieren stärker auf epidemiologische Aspekte und die Versorgungssituation.
Prozessphasen und –aspekte: Die Refundierungsprozesse insgesamt unterscheiden sich durch den Kreis der beteiligten Akteure, in ihrer Phasenstrukturierung, im Umgang mit der vorliegenden Evidenz, in der Transparenz der einzelnen Schritte und der Kommunikation der Ergebnisse. Generell wird eine Trennung von Leistungsevaluierung (assessment), Handlungsempfehlung (appraisal) und politischer Entscheidung (decision) angestrebt. Dabei ist von besonderer Bedeutung, dass die Durchführung von assessment und appraisal vom Leistungsträger unabhängig ist. Außerdem besteht die Tendenz zu sektoren- und leistungsbereichübergreifenden Entscheidungen.
Prioritätensetzung, Reevaluierung und Veröffentlichung der Ergebnisse: Themenauswahl und –priorisierung erfolgen derzeit in wenigen Ländern systematisch und nachvollziehbar, obwohl überall nur ein Teil der (neuen) Technologien evaluiert wird. Das zeigt sich insbesondere bei der Identifikation von Themen zur Re-Evaluierung, für die in der Regel wenig Interesse bei Leistungserbringern besteht. Weitere Trends sind eine breite Veröffentlichung der Assessment-Ergebnisse, die Kommunikation der Entscheidungskriterien und –ergebnisse und die Einbindung von Stakeholdern in allen Phasen des Prozesses. Da sich damit nicht nur die Akzeptanz von Entscheidungen, sondern auch der erforderliche Aufwand erhöht, ist in den meisten Prozessen die Stakeholderbeteiligung auf bestimmte Fristen und auch Gruppen beschränkt. Da eine Refundierung oft beantragt wird, bevor ausreichende Evidenz für eine abschließende Beurteilung vorliegt, bedienen sich etliche Länder der sogenannten Bedingten Erstattung.