Wien – Der aktuelle Fehlzeitenreport 2025, erstellt vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) im Auftrag des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger (DVSV), der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ) und der Arbeiterkammer (AK), analysiert umfassend die Entwicklung und Struktur der Krankenstände nicht-selbstständig Beschäftigter in Österreich. Der diesjährige Report rückt dabei erstmals die Langzeitkrankenstände in den Mittelpunkt und beleuchtet deren Ursachen, Auswirkungen und Präventionspotenziale.
Krankenstände bleiben auf ähnlichem Niveau wie im Vorjahr – mehr kurze, aber auch mehr lange Fehlzeiten
Im Jahr 2024 verbrachten unselbstständig Beschäftigte durchschnittlich 15,1 Kalendertage im Krankenstand – ein weiterhin hoher Wert im längerfristigen Vergleich, jedoch auf ähnlichem Niveau wie im Vorjahr, Tendenz leicht fallend. Während sich der Durchschnitt in der Dekade vor der Pandemie bei rund 13 Tagen einpendelte, kam es ab 2022 zu einem deutlichen Anstieg. Die Jahre 2020 und 2021 sind dabei pandemiebedingt nur eingeschränkt vergleichbar, da viele COVID-19-bedingte Ausfälle nicht als klassische Krankenstandsfälle erfasst wurden – etwa aufgrund von Absonderungsbescheiden oder Sonderregelungen im Arbeitsrecht. Rund 70,1 Prozent der Versicherten waren im Jahr 2024 zumindest einmal im Krankenstand (2019: 57,4 Prozent). Auffällig ist dabei die zunehmende Polarisierung: 43,2 Prozent der Fälle dauerten weniger als vier Tage, verursachten insgesamt aber nur 9,5 Prozent aller Fehlzeiten, während eine kleine Gruppe an Langzeitfällen einen Großteil der Krankenstandstage verursachte.
Langzeitkrankenstände: Wenige Fälle – großer Effekt
Erstmals wurden für das Jahr 2024 Langzeitkrankenstände in einem Sondermodul detailliert analysiert. Fälle mit einer durchgehenden Abwesenheit von mindestens 40 Tagen machten dabei 3,1 Prozent aller Krankenstandsfälle aus, verursachten jedoch rund 40 Prozent der gesamten Krankenstandstage. Betrachtet man alle Fälle mit kumulierten 40 Krankenstandstagen im Jahr, sind es sogar 18,3 Prozent der Fälle, die für über die Hälfte (54,0 Prozent) der Krankenstandstage verantwortlich waren.
„Lange Krankenstände stellen das Gesundheitssystem, die Betriebe und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor besondere Herausforderungen. Ziel muss sein, möglichst frühzeitig zu intervenieren und die Menschen bis zum Pensionsantrittsalter und darüber hinaus möglichst gesund im Erwerbsleben zu halten – durch Prävention, gute medizinische Versorgung und den besonderen Fokus der betrieblichen Wiedereingliederung in Richtung Vollzeitarbeit“, erklärt Peter McDonald, Vorsitzender der Konferenz der Sozialversicherungsträger.
Fehlzeiten durch Krankheit wirken sich nicht nur auf die individuelle Erwerbsbiografie, sondern auch auf die gesamte österreichische Volkswirtschaft aus. Die durch krankheitsbedingte Ausfälle verursachten direkten und indirekten Kosten beliefen sich im Jahr 2024 auf rund 5,8 Milliarden Euro bzw. 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Besonders kostenintensiv sind dabei Fälle mit längerer Dauer, da sie neben der Entgeltfortzahlung oft auch Ersatz- und Überbrückungslösungen erforderlich machen, was auch mit Mehrkosten auf Arbeitgeberseite verbunden ist.
Der aktuelle Fehlzeitenreport bestätigt laut Christine Mayrhuber, Studienverantwortliche und stellvertretende Direktorin des WIFO, frühere Befunde, wonach fünf Krankheitsgruppen – Erkrankungen der Atemwege, des Muskel-Skelett-Systems, psychische Erkrankungen, Verletzungen und Infektionskrankheiten – für 79 % aller Krankenstandsfälle sowie 67 % der Krankenstandstage verantwortlich sind. Bei den Langzeitkrankenständen konzentriert sich die Mehrzahl der Fehltage auf drei Diagnosen: Verletzungen, Muskel-Skelett-Erkrankungen und psychische Störungen. Diese Befundlage unterstreicht die zentrale Bedeutung gezielter Präventionsmaßnahmen in diesen Bereichen, um das Ausmaß langer Fehlzeiten nachhaltig zu reduzieren.
Krankheitsbedingte Fehlzeiten führten im Jahr 2024 zu einem Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Arbeitsvolumens um 4,1 Prozent – ein leichter Rückgang gegenüber 2023 (2023: 4,2 Prozent), aber weiterhin deutlich höher als vor der Pandemie (2019: 3,5 Prozent). Die direkten und indirekten Kosten beliefen sich auf rund 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Laut WIFO-Analyse könnten durch eine Reduktion der Langzeitkrankenstände um nur 10 Prozent rund 2,6 Millionen zusätzliche Arbeitstage generiert werden – das entspricht etwa 7.000 Vollzeitkräften.
„15,1 Krankenstandstage pro Jahr sind – abgesehen vom Rekordjahr 2023 – der höchste Wert seit über 30 Jahren. Das bedeutet eine enorme Belastung für Betriebe, kostet doch jeder Krankenstandstag im Schnitt mindestens 250 Euro. Drei zusätzliche Krankenstandstage entsprechen etwa einem Prozent des gesamten Arbeitsvolumens. Und ein Prozent mehr oder weniger Arbeitsvolumen kann über eine Rezession oder ein (leichtes) Wachstum entscheiden“, sagt Rolf Gleißner, Leiter der Abteilung für Sozial- und Gesundheitspolitik in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Und weiter: „Langzeitkrankenstände sind für Betroffene und ihre Arbeitgeber eine besondere Belastung. Entsprechend dem Regierungsprogramm gilt es, Prävention und Gesundheitskompetenz weiterzuentwickeln, verbindlich und früher gesunderhaltende Maßnahmen zu setzen und das Arbeitsmarktservice stärker bei der Wiedereingliederung einzubinden.“
Wolfgang Panhölzl, Leiter der Abteilung Sozialversicherung der AK Wien meint daran anschließend: „Der aktuelle Fehlzeitenreport, aber besonders der Schwerpunkt zu Langzeitkrankenständen zeigt deutlich auf, dass wir ein besseres Case-Management bei Krankheit brauchen: Rund 1 Million Krankenstandsfälle haben eine Dauer von mehr als 40 Tagen. Die derzeit vorgesehenen Maßnahmen der Frühintervention damit Menschen möglichst rasch wieder ins Erwerbsleben zurückkehren können, erreichen nur eine äußerst geringe Zahl an Personen. Insbesondere bei den Langzeitkrankenständen der 45-64-Jährigen gibt es hier noch viel Spielraum, da 40% der Fälle, aber 60% der Tage entfallen auf diese Altersgruppe. Daher ist der wirksame Ausbau der Prävention durch ein Präventionsgesetz erforderlich und vor allem auch die bessere Versorgung von chronischen Krankheiten durch Programme zum Umgang mit chronischen Erkrankungen (sog. Disease-Management-Programme). Ohne eine Brückenfinanzierung für die drei großen Bereiche - Prävention, Casemanagement und Diseasemanagement - sind keine Fortschritte für mehr gesunde Lebensjahre und weniger Krankheit zu erwarten.“
Ursachen: Muskel-Skelett-Erkrankungen, psychische Erkrankungen und Verletzungen dominieren
Die drei Krankheitsgruppen Muskel-Skelett-Erkrankungen, psychische Erkrankungen sowie Verletzungen und Vergiftungen sind hauptverantwortlich für lange Ausfallzeiten. Bei durchgehenden Langzeitfällen ab 40 Tagen entfallen fast 68 Prozent der Fälle und 66 Prozent der Krankenstandstage auf diese Gruppen. Die Diagnosemuster zeigen zudem starke Unterschiede nach Alter und Branche:
- Bei unter 25-Jährigen dominieren Verletzungen und Vergiftungen,
- bei 25- bis 44-Jährigen sind es vor allem psychische Erkrankungen,
- bei älteren Beschäftigten treten häufiger Muskel-Skelett-Erkrankungen sowie schwere chronische Erkrankungen wie Krebs auf – beides führt zu besonders langen Krankenständen.
Branchenvergleich
Auch zwischen Branchen zeigen sich Unterschiede: Im Bauwesen sind Langzeitkrankenstände vorrangig auf Verletzungen, Vergiftungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen zurückzuführen. In der Industrie treten Muskel-Skelett-Erkrankungen besonders häufig auf, während im Dienstleistungssektor psychische Erkrankungen eine zentrale Rolle spielen.
Demografieeffekte: Frauen, Ältere und bestimmte Regionen besonders betroffen
Im Geschlechtervergleich zeigt sich 2024 erneut ein höheres Krankenstandsniveau bei Frauen (15,9 Tage) im Vergleich zu Männern (14,5 Tage). Ab dem 50. Lebensjahr steigen sowohl die Häufigkeit als auch die Dauer der Krankenstände an. Gleichzeitig bestehen deutliche regionale Unterschiede: Salzburg verzeichnet mit 12,8 Tagen die niedrigste Krankenstandsdauer, während Niederösterreich mit 17,5 Tagen den höchsten Wert aufweist.
Ein differenzierter Blick auf die Altersstruktur zeigt ein insgesamt U-förmiges Muster beim Krankenstandsgeschehen. Jugendliche unter 20 Jahren sind überdurchschnittlich häufig krankgemeldet. Nach dem 20. Lebensjahr sinkt die Krankenstandshäufigkeit zunächst deutlich ab, bevor sie ab etwa 45 Jahren wieder kontinuierlich ansteigt. Den Höchststand erreichen Krankenstandsdauern bei den 60- bis 64-Jährigen, die seltener in den Krankenstand gehen, dafür aber häufiger länger ausfallen.
Diese altersbezogene Entwicklung spiegelt sowohl physiologische Faktoren als auch Unterschiede in beruflichen Belastungen, Prävention und Gesundheitsverhalten wider.
Fehlzeiten-Dashboard unterstützt gezielte Steuerung
Das interaktive Fehlzeiten-Dashboard der Sozialversicherung liefert datenbasierte Einblicke in das österreichische Krankenstandsgeschehen – nach Alter, Branche, Diagnose und Region differenziert. Es steht seit 2020 online zur Verfügung und wird jährlich aktualisiert.
Zugang zum Dashboard: https://dashboards.sozialversicherung.at/fehlzeiten